On the wild side

Biodynamie erklärt am lebenden Objekt: ein Spaziergang durch Manincor

Irgendwas war nicht in Ordnung in den Weinbergen. Egal ob viel oder wenig Sonne, ein feuchter oder ein trockener Sommer – die Trauben hatten nie die perfekte Qualität, die sie für einen Spitzenwein brauchen. So exakt man sich an alle Vorschriften hielt, da war der Wurm drin.
Oder besser: Der Wurm war eben nicht drin, wie die erste Diagnose von Dr. Andrew C. Lorand (1) lautete. Zu wenig Leben im Boden. Woher sollten dann die Reben die Kraft nehmen, um erstklassige Trauben zu produzieren?
Zurück in die Gegenwart, Winter 2010; der Kalterer See ist zugefroren, Eisläufer freuen sich. Michael Graf Goëss-Enzenberg erzählt bei einem Spaziergang durch den Weinberg, wie es zur Entscheidung gekommen ist, die Weinproduktion auf Biodynamie umzustellen.

Auf der Suche nach dem verlorenen Terroir
Besorgt um die Qualität der Trauben fiel ihm eines Tages auf, dass Gräfin Sophie die Familie fast ohne ärztliche Hilfe gesund erhielt: mit hochwertigen Lebensmitteln, frischer Luft und vor allem mit Achtsamkeit für die individuellen Bedürfnisse. Und wenn es nötig war, mit Hilfe von Homöopathie und alten Hausmitteln. Möglicherweise auch ein Weg für die Reben?

Andrew Lorand empfahl eine Radikalkur: die Umstellung auf biodynamischen Weinbau. 2005 begann man damit, 2006 war das erste vollständige Biodynamie-Jahr, und seit 2009 kann sich der Betrieb laut Gesetz zu 100% biodynamisch zertifiziert nennen.

Viel Überzeugungsarbeit galt es im Betrieb zu leisten. Das Konzept einer biodynamischen Bewirtschaftung funktioniert nur, wenn es von einer inneren Einstellung zur Natur mitgetragen wird. Bei der Einführung der Biodynamie waren die „Alten“ anfänglich am wenigsten begeistert. „Graf, wollen Sie alles kaputt gehen lassen?“ hieß es. Seit 65 Jahren arbeitet einer von ihnen auf Manincor – so verbunden ist der bald 80-jährige mit dem Weinbau, dass er auch heute noch keinen Tag fehlt. Nach der ersten erfolgreichen biodynamischen Ernte kam die Einsicht: „So hammas friia a g’mocht.“(2) „Früher“– hat man in der Landwirtschaft auch mit Tieren gearbeitet, Kompost gebaut und auf die natürlichen Rhythmen und Mondzyklen geachtet.

Kurz darauf lernte man bereitwillig mit weniger Arbeitsaufwand jedoch mit mehr „chemischem Einsatz“ Krankheiten und Schädlinge zu bekämpfen. Neue Probleme wurden mit immer neuen Mitteln behandelt.

"Die Schafe sorgen für natürliche Düngung und bringen die tierische Seele in den Weinberg. Auch Pferde wird es eines Tages wieder geben."

Michael Graf Goëss-Enzenberg

Der Wurm war also nicht mehr drin im Boden, die Weinberge hatten ihre Vitalität verloren. Anfang der 1970er hatte man die letzten Arbeitsochsen durch Traktoren ersetzt; seither gab es nur mehr ein paar Hühner und den Hund. Biodynamie aber bedeutet ganzheitliches Denken, Denken in Kreisläufen und Vielfalt. Pflanzen brauchen eine möglichst komplette Umwelt – einen gesunden Boden, der durchsetzt ist von Nützlingen, Tiere, die den Weinberg als Lebensraum nutzen oder bei der Arbeit helfen.

In Manincor ist der Umkehrschwung vollzogen. Die Spaziergängerin entdeckt unter den kahlen Reben eine Schafherde, kleine, bretonische Quessants, die mit ihrer hohen Widerstandskraft perfekt für das Leben im Weinberg geeignet sind. „Mit Romantik hat das nichts zu tun“, merkt der Graf dazu an. „Die Schafe sorgen für natürliche Düngung und bringen die tierische Seele in den Weinberg. Auch Pferde wird es eines Tages wieder geben“.

An einer Hangkante steht seit zwei Jahren das bunte Bienenhaus. Den Honig gibt es im Laden. Die Vielfalt an Pflanzen, die es mittlerweile hier wieder gibt, ist ein Schlaraffenland für Bienen. Auch fremde Bienenvölker verbringen die Saison zwischen den Rebzeilen. Ebenso gern genutzt werden die Nistkästen für die vielen Vogelarten rund um den Kalterer See.

Heute glaubt niemand mehr, was die Anfänge im Biobereich geprägt hat: Laissez-faire und Gelassenheit. Das gerade Gegenteil ist der Fall: sehr viel Arbeit, höchste Präzision und Disziplin braucht es. Alles muss termingerecht gemacht werden; die ideale Mondphase muss für das Ausbringen von Teegüssen oder Hormistpräparaten genützt werden.

Gelebte Biodiversität
Wenn 2010 die UNO das Jahr der Biodiversität ausgerufen hat, so kann Manincor als Musterbeispiel dafür gelten. Baumgruppen und Hecken durchbrechen die Weinberge; in jeder zweiten Rebzeile wird der Boden gespatet und eine gemischte Saat aus Getreide, Blumen, Klee, Raps usw. ausgebracht. Zusammen mit den Kompostgaben sorgt sie für einen idealen Nährboden für die Reben.

Die Umstellung auf die biodynamische Landwirtschaft in Manincor war weit mehr als eine Änderung der weinwirtschaftlichen Methoden. „Biodynamie verlangt vom Menschen, sich seiner Arbeit mit vollem Bewusstsein zu widmen.“, so Graf Michael. „Es geht um geschlossene natürliche Kreisläufe.“ Wenn – beispielsweise – aus dem eigenen Wald bei der Leuchtenburg am Kalterer See Eichen für die Weinfässer geholt werden und der Holzabfall zu Hackschnitzeln für die Heizung verarbeitet wird; oder wenn eigener Kompost – erst seit 2009 dürfen Biobetriebe die eigenen Trester kompostieren – erzeugt wird.

Work in progress
Ein „work in progress“ ist also die biodynamische Bewirtschaftung. Es gibt noch viel zu tun, aber auf Manincor merkt man, dass das Denken in Kreisläufen selbstverständlich geworden ist. Schön und eine Bestätigung des eingeschlagenen – und oft mühevollen – Weges, wenn man die Auszeichnung im Weinführer „Guida ai Vini d’Italia bio 2010“ für den besten biologischen Weißwein Italiens erhält und im Gambero Rosso die ersten „grünen“ 3 Gläser bekommt.

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(1) Zur Person: Nach einer Lehre zum Landwirt und Winzer in der Schweiz studierte Andrew Lorand in den USA Agrarökologie und dissertierte über Biodynamik. Heute ist er in Europa Lehrer und Berater für viele renommierte biodynamische Weingüter.

(2) „So haben wir es früher auch gemacht.“

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